Liebe Familie und Freund*Innen,
Gestern kam ich nach einer langen, aber interessanten Lesetour endlich wieder in ein verregnetes, dunkles Skibsted zurück. Diese Reise die am 25. August begonnen hatte, hatte einer ebenfalls langenTour im Juni/Juli gefolgt, mit dem damaligen Höhepunkt der PEN-Festbuch Präsentation im ehemaligen Gerichtsaal 600 des Nürnberger Justizgebäudes. Dies war äußerst denkwürdig gewesen.
Bevor ich über die verschiedenen Veranstaltungen der letzten Reise spreche, möchte ich der RW-Gesellschaft danken, die all dies ermöglicht hat. Beginnen darf ich mit Peter und Marichen Schrage-Aden, die mich netterweise mit einem super Mietwagen bis zur dänischen Grenze gefahren haben, sowie dem RWS-Vorstand mit seiner tatkräftigen, zuverlässigen Geschäftsstelle! Mein Dank gilt auch denjenigen, die sich um das Programm kümmerten. Mein Dank geht natürlich an Lutz Kliche, ohne dessen Begleitung, Moderation und Chauffeurdienste nichts zustande gekommen wäre. Meinen herzlichen Dank schulde ich außerdem meinen geduldigen Gastgebern für ihre stets erneute großzügige Gastfreundschaft: Hildegard Thevs, Ann und Hermann Honermann, Anni und Günter Springer-Kropf, Nina und Konrad Melchers. Meine Dankbarkeit für die vielen guten Wünsche, auch für Rosch Haschana – und auch für unverdiente und unerwartete Geschenke!
Lutz und ich brachen von Lüdinghausen nach Köln auf, wo durch Birgit Morgenraths Liaison eine Veranstaltung in der Germania Judaica-Abteilung der Kölner Bibliothek unter Leitung von Frau Dr. Ursula Reuter organisiert wurde. Die Germania Judaica wurde 1959 gegründet und hatte auch die Londoner Wiener Library übernommen, die ich Anfang der 50er Jahre kennen gelernt hatte. In der Bibliothek gab es volles Haus mit mehr als 100 Zuhörer*Innen. Am Tag darauf gab Oberbürgermeister Andreas Wolters in Köln einen Empfang für mich, anschließend hatte ich ein intensives Gespräch und Podcast mit der nordrhein-westfälischen Antisemitismusbeauftragten Frau Leutheusser Schnarrenberger.
Am nächsten Morgen waren Lutz und ich in Essen in einer Schule für hörgeschädigte Jugendliche (was meinem Gehör gleicht!) und uns sehr gefiel. Anschließend kehrten wir nach Lüdinghausen zurück, wo wir am nächsten Tag (inzwischen war es nun der 2. September) nach Osnabrück fuhren, um dort einen unvergesslichen Tag zu verbringen.
Zunächst gab es eine große Versammlung im ehrwürdigen historischen Saal, wo vor 374 Jahren der einzigartige Westfälische Friedensvertrag unterzeichnet wurde, der den verheerenden Dreißigjährigen Krieg beendete. Das 375-jährige Jubiläum wird im kommenden Jahr gebührend und mit zahlreichen Projekten gefeiert. Mir wurde (dank Reinhard Stolle) von Osnabrücks Oberbürgermeisterin Frau Dr. Katharina Pötter die Ehre zuteil, mich in das Goldene Buch der Stadt einzutragen. Am Abend lud das erfolgreiche Aktionszentrum Dritte Welt Osnabrück zum 40-jährigen Jubiläum zu einer gut besuchten Jubiläumsveranstaltung mit informativen Ansprachen ehemaliger und aktueller Mitglieder ein. All dies in Anwesenheit von Frau Dr. Pötter, was angesichts der vielen Anforderungen an ihre Zeit bewundernswert war! Ich war ein unverdienter, aber erfreuter Ehrengast bei dieser Veranstaltung in einer Stadt, die ich in der Vergangenheit oft und gerne besucht hatte. Dazu gehörte eine Veranstaltung im Felix-Nussbaum-Haus, einem der vielen großartigen Künstler, deren früher Tod in der Shoa zu beklagen war. Ein weiterer verehrter Sohn Osnabrücks war Erich Maria Remarque, Autor des unvergesslichen „Im Westen nichts Neues“.
Die nächste Veranstaltung war der Besuch einer Gesamtschule in Recklinghausen, organisiert von der unermüdlichen Maria Voss. Von dort reisten wir nach Sulzbach für einen Ruhetag, bevor wir in Mainhausen mit Lutz Van Dijk, dem versierten Autor, Aktivisten und Gründer von HOKISA (Homes for Kids in South Africa) eine gemeinsame Veranstaltung im Albert Einstein Gynmasium hatten. Lutz war soeben genesen und ist buchstäblich von seinem Covid-Krankenbett aufgestanden, um an der Veranstaltung teilzunehmen, die von seinem Namensvetter Lutz Kliche moderiert wurde. Dieses Zusammentreffen, organisiert von Frau Barbara Bingel, war Nasrin Siege zu verdanken, Aktivistin und großartige Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Ich habe das Glück, Nasrin und beide Männer namens Lutz meine geschätzten Freunde zu nennen.
In Sulzbach konnte ich mich ausruhen vor dem großen Ereignis am 15. September, an dem mir in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt der Ovid-Preis des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland überreicht wurde. Dieser PEN, der erste im Exil, war 1934 in London von einer Reihe von Koryphäen gegründet worden. Sowohl der Name des Preises des im Exil verstorbenen Ovid, wie das Datum der Preisverleihung während der Frankfurter ‚Tage des Exils‘, waren bewusst gewählt worden. Zu den bisherigen Preisträgern gehören Persönlichkeiten wie Wolf Biermann, dessen Lieder und Werk ich seit langem bewundere, sowie die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller. Deren Werke überragen meine bei weitem. Ich fühle mich sehr geehrt, in dieser Reihe zu sein. Lutz Kliche hielt die Laudatio. Wie ich weiß, sind solche Reden immer wunderbare Lobeshymnen. Lutz hat einen tollen und persönlichen Bericht gegeben, für den ich sehr dankbar bin. Ein langes Interview folgte, es wurde von einem gut vorbereiteten Journalisten von HR2 geführt, dessen Nachname zufällig Schwarz war! Ich empfand es als einen herrlichen Abend und danke Frau Dr. Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 in der Deutschen Nationalbibliothek herzlichst.
Zwei Tage später reisten Anni Kropf, Gesche Karrenbrock und ich nach Berlin, wo wir gemeinsam Nina und Konrad Melchers Gastfreundschaft genossen. Melchers waren auch Gastgeber des jährlichen Mitgliedertreffens der Ruth Weiss Gesellschaft und für verschiedene Besucher. Davor hatten zwei denkwürdige Veranstaltungen stattgefunden. Im Vorfeld ein Treffen mit dem beeindruckenden Aubrey Pomerance, dessen breites Wissen und akribische Vorbereitung dem Abend im Jüdischen Museum vorausgegangen war, gefolgt von der Veranstaltung am folgenden Abend im Jüdischen Museum mit über 220 Personen. Der Abend lief unter dem Titel Zeitzeugengespräch. Wir kamen irgendwie kaum über meine Kinderjahre hinaus und sprachen über meine Begegnung mit der rassistischen Gesellschaft Südafrikas schon kurz nach meiner Ankunft 1936. Zu meiner Freude erfuhr ich, dass Herr Pomerance und ich eine gemeinsame Freundin in den USA haben, die wir beiden sehr schätzen.
Am nächsten Abend fand in der großartigen Ibn-Rush-Goethe-Moschee eine Veranstaltung statt, ein Austausch zwischen der bewundernswerten Imamin Seyran Ates und mir. Ruth-Gaby Vermot-Mangold, die Schweizer Gründerin der Peace Women Worldwide, die zu diesem Anlass nach Berlin gekommen war, moderierte gekonnt die Diskussion. Obwohl es nicht als interreligiöses Treffen gedacht war – und die Betonung tatsächlich auf Frieden und Versöhnung lag – wurde es von vielen als solches wahrgenommen.
Mehrere Tage danach, nachdem ein Termin wegen Covid ausgefallen war und nach dem Berliner Marathon, machte ich mich gestern auf den Heimweg, mit tollen Erinnerungen, guten Wünschen und neuen Bekanntschaften! Danke, dass Ihr diesen Rundbrief gelesen habt. Ich sende meine Wünsche und Hoffnungen für gute Gesundheit und Lösungen der vielen Krisen in unserer einen Welt,
herzlichst ruth